Wellenreiter und Verbrecherjäger: Don Winslows kalifornische Krimi-Surf-Saga

Wer Krimis liebt und gleichzeitig eine Faszination für die Surfkultur Kaliforniens hegt, für den hat der amerikanische Bestsellerautor Don Winslow ein besonderes Lesevergnügen geschaffen: Die Boone Daniels-Reihe. Mit „Pacific Private“ und „Pacific Paradise“ präsentiert Winslow zwei Kriminalromane, die nicht nur spannende Fälle bieten, sondern auch tief in die Welt des Surfens eintauchen. Hier erfahrt ihr alles über den ersten Band!

Es ist 5:30 Uhr morgens an der Küste von San Diego. Die Sonne kriecht gerade über den Horizont, als sich fünf Gestalten in Neoprenanzügen mit ihren Surfboards in die Brandung stürzen. Es ist die „Dawn Patrol“ – eine eingeschworene Gemeinschaft von Wellenreitern, die jeden Morgen dem gleichen Ritual folgt. Ihr inoffizieller Anführer: Boone Daniels, ehemaliger Polizist, halbherziger Privatdetektiv und leidenschaftlicher Surfer.

Pacific Private

Autor: Don Winslow
Format: 12 x 19 cm
Seiten: 394
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3518460962

So beginnt Don Winslows „Pacific Private“ (im Original: „The Dawn Patrol“), der erste Band einer zweiteiligen Krimireihe, die in der amerikanischen Surfszene spielt. Der 70-jährige Winslow, der als Autor der Drogen-Kartell-Trilogie „Tage der Toten“, „Das Kartell“ und „Jahre des Jägers“ internationale Berühmtheit erlangte, kehrt mit diesen Romanen zu seinen Wurzeln zurück. Als langjähriger Bewohner Südkaliforniens und Gelegenheitssurfer kennt er die Szene, über die er schreibt, aus erster Hand – ein Umstand, der den Büchern eine Authentizität verleiht, die weit über die üblichen exotischen Kulissen des Krimi-Genres hinausgeht.

Mehr als nur Kulisse: Surfkultur als literarisches Terrain

Was Winslows Boone Daniels-Reihe von konventionellen Kriminalromanen unterscheidet, ist die Tiefe, mit der der Autor in die Welt des Surfens eintaucht. Die Wellen sind hier nicht bloß malerisches Beiwerk, sondern eigenständige Charaktere mit Geschichte und Persönlichkeit. Wenn Winslow über die „Swell of ’53“ schreibt – eine legendäre Welle, die nur alle paar Jahrzehnte an die kalifornische Küste rollt – dann tut er das mit einer Präzision und Kenntnis, die selbst eingefleischten Surfern Respekt abnötigt.

In Winslows Kalifornien ist Surfen mehr als ein Sport – es ist ein Lebensgefühl, eine Philosophie und eine soziale Struktur. Der Autor führt seine Leser in die Welt der „Dawn Patrol“ ein, jener Gruppe von Surfern, die sich jeden Morgen bei Sonnenaufgang treffen, um die ersten Wellen des Tages zu reiten. Die Mitglieder dieser Gemeinschaft – Hang Twelve, Dave „the Love God“, Johnny Banzai, High Tide und die talentierte Sunny Day – sind mehr als nur Nebenfiguren. Sie verkörpern verschiedene Aspekte der Surf-Kultur Kaliforniens, von ihren Ursprüngen bis zu ihrer heutigen Form.

Wellenreiten und Mordermittlung: Ein ungewöhnlicher Ermittler

Boone Daniels ist kein typischer Privatdetektiv aus dem Krimi-Genre. Er ist weder alkoholkrank noch verbittert, sondern ein ehemaliger Polizist, der seinen Dienst quittiert hat, weil er sich weigerte, einen Verdächtigen zu foltern. Nun arbeitet er als Privatermittler – allerdings nur so viel, dass er jeden Morgen mit seinen Freunden surfen kann. Denn für Boone steht fest: „Er lebt, um zu surfen. Alles andere ist Nebensache.“

Diese Haltung wird auf die Probe gestellt, als die Anwältin Petra Hall ihn engagiert, um eine verschwundene Stripperin zu finden, die in einem Versicherungsfall aussagen soll. Was zunächst wie ein Routineauftrag erscheint, entwickelt sich zu einem komplexen Fall, der Boone mit einem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit konfrontiert: dem ungeklärten Verschwinden eines kleinen Mädchens namens Rain, das er als Polizist nicht aufklären konnte.

Die Spur führt Boone zur kalifornisch-mexikanischen Grenze, wo junge mexikanische Mädchen auf Erdbeerfeldern zur Prostitution gezwungen werden. Ausgerechnet jetzt kündigen sich an Pacific Beach Riesenbrecher an, wie sie nur alle paar Jahre vorkommen – und Boone steht vor der Entscheidung: der perfekten Welle nachjagen oder einen Fall lösen, der ihn nicht loslässt.

Kalifornien im Wandel

Winslows Roman ist nicht nur ein spannender Kriminalfall, sondern auch eine soziale Studie über das sich wandelnde Kalifornien. Der Autor zeichnet das Bild eines Ortes, der einst ein unberührtes Paradies war und nun durch Kommerzialisierung, Gentrifizierung und organisierte Kriminalität bedroht wird. Die idyllischen Strände von Pacific Beach stehen in scharfem Kontrast zu den dunklen Machenschaften, die sich dahinter verbergen.

Besonders beeindruckend ist, wie Winslow die Surf-Kultur mit der Krimi-Handlung verwebt. Die Wellen des Ozeans spiegeln oft die Höhen und Tiefen der Ermittlungen wider. Der Autor nutzt die Philosophie des Surfens – das Warten auf den perfekten Moment, das Lesen der Natur, das Vertrauen in die eigenen Instinkte – als Metapher für Boones Herangehensweise an seine Fälle.

Präzise wie eine perfekte Welle

Seine Sprache ist knapp, präzise und voller Energie – wie die Bewegungen eines guten Surfers. Die Dialoge sind authentisch und oft mit Surfer-Slang durchsetzt, was die Charaktere lebendig macht. Besonders beeindruckend sind die Beschreibungen der Wellen und des Meeres, die von tiefer Kenntnis und Liebe zum Surfen zeugen.

Der Autor wechselt mühelos zwischen rasanten Actionszenen und ruhigeren, reflektierenden Passagen. Er versteht es, Spannung aufzubauen und den Leser bis zur letzten Seite zu fesseln. Dabei verzichtet er auf übertriebene Gewaltdarstellungen, ohne die Brutalität der Verbrechen zu verharmlosen.

Fazit: Ein (Surf-) Krimi mit Tiefgang

„Pacific Private“ ist mehr als ein gewöhnlicher Kriminalroman. Don Winslow hat ein literarisches Hybrid geschaffen, das sowohl als spannender Thriller als auch als kulturhistorische Studie der kalifornischen Surfszene funktioniert. Der Autor beweist, dass ein spezielles Milieu als Rahmen für einen Kriminalroman nicht nur exotische Kulisse sein muss, sondern integraler Bestandteil der Geschichte sein kann.

Der Roman ist der Auftakt einer zweiteiligen Reihe um Boone Daniels, die mit „Pacific Paradise“ fortgesetzt wird. Wer nach dem ersten Band Gefallen an Boone und seiner Welt gefunden hat, sollte unbedingt auch den zweiten Teil lesen, um die Entwicklung der Charaktere und der Surfgemeinde von Pacific Beach weiter zu verfolgen.

Don Winslow, der durch seine Kartell-Saga („Tage der Toten“, „Das Kartell“, „Jahre des Jägers“) internationale Berühmtheit erlangte, zeigt mit der Boone Daniels-Reihe eine andere, nicht minder faszinierende Facette seines Könnens. „Pacific Private“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein talentierter Autor ein spezielles Milieu nutzen kann, um frischen Wind in das Genre des Kriminalromans zu bringen.

Als Leser taucht man ein in die sonnendurchflutete Atmosphäre der kalifornischen Küste und spürt gleichzeitig die Schatten, die über diesem vermeintlichen Paradies liegen. Man riecht förmlich die salzige Meeresluft und hört das Rauschen der Wellen, während man Boone Daniels auf seiner Jagd nach Verbrechern und der perfekten Welle begleitet. Ein literarisches Surf-Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

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Jan

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