Wenn es um Big Wave Surfing geht, führt kein Weg an Laird Hamilton vorbei. Der Mann, der das Wellenreiten revolutionierte und dabei die Surf-Community spaltete wie kaum ein anderer. Die Dokumentation „Take Every Wave: The Life of Laird Hamilton“ von Regisseurin Rory Kennedy wirft einen faszinierenden Blick auf das Leben dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit – und zeigt, warum Hamilton bis heute eine der umstrittensten Figuren des Surfens ist.
Take Every Wave: The Life of Laird Hamilton
- Erscheinungsjahr: 2017
- Laufzeit: 118 Minuten
- Genre: Dokumentarfilm, Sportdokumentation, Biografie
- Regie: Rory Kennedy
- Produktionsland: USA
- Sprache: Englisch (mit deutschen Untertiteln)
- FSK: Ab 6 Jahren
Der Außenseiter von Hawaii
Laird John Zerfas wurde 1964 in San Francisco geboren, doch seine Geschichte beginnt eigentlich auf Hawaii. Als seine Mutter Joann mit dem kleinen Laird nach Oahu zog, ahnte niemand, dass aus dem blonden, hellhäutigen Jungen einmal eine Surf-Legende werden würde. In einer überwiegend hawaiianischen Nachbarschaft war Laird der ewige Außenseiter – eine Rolle, die ihn prägte und die er paradoxerweise sein Leben lang beibehalten sollte.
Der Wendepunkt kam, als seine Mutter Bill Hamilton heiratete, einen begnadeten Surfer und Surfboard-Shaper der North Shore. Unter Bills Anleitung entwickelte sich Laird zu einem außergewöhnlichen Waterman. Doch schon früh zeigte sich: Laird würde seinen eigenen Weg gehen, koste es, was es wolle.
Der Revolutionär des Big Wave Surfings
Was Laird Hamilton von anderen Surfern unterscheidet, ist sein kompromissloser Innovationsgeist. Während die Surf-Community traditionelle Werte hochhielt, experimentierte Hamilton mit neuen Techniken und Technologien. Seine wichtigste Erfindung: das Tow-in Surfing. Mithilfe von Jet-Skis konnten Surfer plötzlich Wellen reiten, die zuvor als unfahrbar galten – Monsterwellen von 20 Metern und mehr.
Diese Innovation öffnete eine völlig neue Dimension des Surfens. Plötzlich waren Spots wie Jaws auf Maui oder Teahupo’o in Tahiti zugänglich, die mit reiner Paddelkraft niemals zu bewältigen gewesen wären. Hamilton surfte Wellen mit Geschwindigkeiten von bis zu 80 km/h und stellte dabei alles in Frage, was die Surf-Welt bis dahin für möglich gehalten hatte.
Die Kontroverse um eine Legende
Doch genau diese Innovationen machten Hamilton zur Zielscheibe der Kritik. Viele Puristen sahen in seinen Methoden einen Verrat an der Seele des Surfens. Das Tow-in Surfing wurde als „unecht“ abgetan, seine Sponsoring-Deals mit Mainstream-Marken als „nicht core“ kritisiert. Hamilton ließ sich davon nicht beirren – im Gegenteil, er nutzte Modeling-Jobs und Hollywood-Auftritte, um seine Surf-Expeditionen zu finanzieren.
Auch seine späteren Innovationen wie Stand-up Paddling und Hydrofoiling stießen zunächst auf Spott und Ablehnung. Heute sind beide Disziplinen etablierte Wassersportarten mit Millionen von Anhängern weltweit.
Rory Kennedys filmisches Meisterwerk
Die Dokumentation „Take Every Wave“ erzählt Hamiltons Geschichte chronologisch und ohne Beschönigung. Regisseurin Rory Kennedy, bekannt für ihre einfühlsamen Porträts, lässt sowohl Hamilton selbst als auch Wegbegleiter, Kritiker und Familienmitglieder zu Wort kommen. Das Ergebnis ist ein vielschichtiges Porträt, das den Menschen hinter der Legende zeigt.
Besonders beeindruckend sind die Archivaufnahmen aus Hamiltons Karriere. Von seinen ersten Schritten als Teenager-Model bis hin zu spektakulären Surf-Sessions an den gefährlichsten Spots der Welt – Kennedy hat Material zusammengetragen, das teilweise noch nie öffentlich gezeigt wurde.
Der legendäre Teahupo’o-Ritt
Ein Höhepunkt des Films ist zweifellos die Dokumentation von Hamiltons berühmtestem Ritt: Am 17. August 2000 surfte er in Teahupo’o, Tahiti, eine Welle, die als eine der schwersten und gefährlichsten aller Zeiten gilt. Das Barrel war so perfekt und gleichzeitig so tödlich, dass selbst erfahrene Big Wave-Surfer den Atem anhielten.
Diese Sequenz zeigt Hamilton in seinem Element: völlig fokussiert, furchtlos und in perfekter Harmonie mit einer Kraft, die jeden anderen Surfer zermalmt hätte. Es ist ein Moment, der die Essenz dessen einfängt, was Hamilton ausmacht – die Bereitschaft, dorthin zu gehen, wo niemand sonst hingeht.
Mehr als nur Adrenalin
„Take Every Wave“ ist jedoch weit mehr als eine Sammlung spektakulärer Surf-Clips. Kennedy gelingt es, die menschliche Seite Hamiltons zu beleuchten: seine Beziehung zu seiner verstorbenen Mutter, die Herausforderungen als Stiefvater, seine Ehe mit der Volleyball-Ikone Gabrielle Reece. Diese persönlichen Einblicke machen deutlich, dass hinter der scheinbar unverwundbaren Fassade ein Mensch steht, der genauso mit Zweifeln und Ängsten kämpft wie jeder andere.
Der Film zeigt auch die Schattenseiten des Ruhms: die ständige Kritik, die Verletzungen, die Momente, in denen Hamilton seinem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. Diese Ehrlichkeit macht die Dokumentation besonders wertvoll für alle, die verstehen wollen, was es bedeutet, ein Pionier zu sein.
Warum dieser Film jeden Surfer faszinieren wird
Für Surf-Enthusiasten bietet „Take Every Wave“ mehrere Ebenen der Faszination. Auf der einen Seite ist da der pure Adrenalinstoß: Die Aufnahmen von Hamilton auf 20-Meter-Wellen sind schlichtweg atemberaubend und zeigen Big Wave Surfing in seiner reinsten Form. Die Kameraführung und der Schnitt verstärken das Gefühl, selbst auf dem Board zu stehen.
Auf einer tieferen Ebene ist der Film eine Meditation über Innovation und Tradition im Surfen. Hamiltons Geschichte wirft Fragen auf, die bis heute relevant sind: Was macht authentisches Surfen aus? Wie weit darf man gehen, um neue Grenzen zu erkunden?
Die Dokumentation zeigt auch, wie sich die Surf-Industrie in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Hamiltons Weg von einem Außenseiter zum globalen Markenbotschafter spiegelt die Kommerzialisierung des Sports wider – mit allen Vor- und Nachteilen.
Ein visuelles Spektakel mit emotionaler Tiefe
Technisch ist „Take Every Wave“ ein Meisterwerk. Die Mischung aus historischem Filmmaterial, modernen Interviews und atemberaubenden Surf-Sequenzen schafft eine Dynamik, die den Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute fesselt. Besonders beeindruckend ist, wie Kennedy es schafft, die Gewalt und Schönheit des Ozeans gleichzeitig einzufangen.
Die Soundkulisse verdient ebenfalls Erwähnung: Von den donnernden Geräuschen brechender Wellen bis hin zu den leisen Momenten der Reflexion – jeder Ton unterstützt die emotionale Wirkung des Films.
Fazit: Ein Muss für jeden Surf-Fan
„Take Every Wave: The Life of Laird Hamilton“ ist mehr als nur eine Biografie – es ist ein Fenster in die Seele des modernen Surfens. Der Film zeigt einen Mann, der bereit war, alles zu riskieren, um die Grenzen seines Sports zu erweitern, und dabei sowohl gefeiert als auch verdammt wurde.
Für alle, die sich für die Evolution des Big Wave Surfings interessieren, ist diese Dokumentation unverzichtbar. Sie bietet nicht nur spektakuläre Bilder und packende Action, sondern auch tiefe Einblicke in die Psyche eines Mannes, der das Unmögliche möglich gemacht hat.
Ob man Hamilton liebt oder hasst – ignorieren kann man ihn nicht. Und genau das macht „Take Every Wave“ zu einem so fesselnden Filmerlebnis, das noch lange nach dem Abspann nachwirkt.